Ist das Schulsystem in Bolivien geeignet für Auswandererfamilien? 🇧🇴
Auf einer Reise durch Bolivien stellt man schnell fest, dass das Land von Extremen geprägt ist, was auch auf das Schulsystem zutrifft. Verlassene ländliche Gegenden stehen im Gegensatz zu modernen Städten. Letztere sind unter Auswanderern beliebt. Jedoch verdient auch der ländliche Raum eine gewisse Aufmerksamkeit, um die Einstellung der Bolivianer gegenüber der Schule besser zu verstehen.
In diesem Artikel möchte ich das Schulsystem in Bolivien besser erläutern, damit sich Auswandererfamilien und jene, die es werden wollen, ein Bild davon machen können.
Lies weiter oder sieh dir hier mein Video dazu an:
Wie zu Beginn erwähnt, sind urbane Gegenden, wie zum Beispiel die Städte Santa Cruz de la Sierra oder Sucre, unter Auswanderern beliebt. Diese Städte bieten internationalen Schülern eine einzigartige kulturelle Erfahrung in einer schönen Umgebung, sowie weltbekannte Schulen und Universitäten. Hier haben Schüler und Studenten leicht Zugang zu hervorragenden Bildungsmöglichkeiten.
Aufbau des Schulsystems in Bolivien und seine Probleme
Das reguläre Bildungssystem in Bolivien umfasst sechs Jahre Primarstufe und sechs Jahre Sekundarstufe. Kinder werden mit sechs Jahren eingeschult, und obwohl in Bolivien Schulpflicht herrscht, erhalten viele Kinder in ländlichen Gegenden keine oder unzureichende Bildung.
Besonders indigene Kinder, selbst wenn diese großteils die Einschulung noch antreten können, beenden ihre Schulerfahrung nach wenigen Jahren, gewollt oder ungewollt. Einerseits sind Kinder, die in Armut leben, gezwungen, zum Lebensunterhalt ihrer Familien beizutragen; andererseits fehlt es in diesen Gegenden auch an Schulen oder der Schulweg gestaltet sich zu weit.
Probleme im bolivianischen Schulsystem
Vor einigen Jahren hat Bolivien Aufruhr in der internationalen Presse verursacht, als sich Kinderarbeiter ihr Recht auf Arbeit und damit soziale Absicherung erkämpft haben. Sie wollten damit aus der Illegalität austreten, welche für sie gleichbedeutend mit Ausbeutung war. Bolivien ist also eines der Länder, in dem es bereits für Zehnjährige erlaubt ist zu arbeiten.
Man beobachtet Minderjährige, wie sie in der Landwirtschaft und auf Märkten helfen, oder auf der Straße Kleinigkeiten verkaufen. In großen Teilen der Bevölkerung wird es als selbstverständlich gesehen, dass selbst die Jüngsten eine aktive Rolle in der Gemeinschaft übernehmen und zum Familienunterhalt beitragen. Aufgrund dessen nimmt Schulbildung unter vielen indigenen Familien keine Priorität ein. Dies hat unter anderem fehlende Ausbildungsmöglichkeiten und Diskriminierung für die indigene Bevölkerung zur Folge.
Es kommt nicht überraschend, dass die Analphabetenrate in diesen Regionen relativ hoch ist, besonders unter Frauen. Diese erledigen traditionelle Tätigkeiten meist im und rund ums Haus, während die Männer außer Haus arbeiten.
Ein weiteres Problem, das zur mangelnden Ausbildung und Diskriminierung der ländlichen Bevölkerung beiträgt, ist, dass an vielen Schulen nur auf Spanisch unterrichtet wird, während indigene Kinder oft nur Aymara oder Quechua sprechen. Auch wenn es immer mehr Schulen gibt, in denen zweisprachig unterrichtet wird und Lehrer zumindest eine der meistgesprochenen Indiosprachen beherrschen „sollen“, gibt es in dieser Richtung noch Aufholbedarf.
Schulalltag in Bolivien
Wie in anderen Ländern Südamerikas tragen die Schüler in Bolivien Schuluniformen. Eine Klasse besteht zumeist aus 30 bis 40 Kindern. Die Noten werden in Punkten bzw. Prozent von 0 bis 100 ausgedrückt. Man benötigt mindestens 51%, um eine Prüfung zu bestehen.
Es sticht hervor, dass die Bildung in Bolivien viele berufsbildende Elemente beinhaltet. So können sich Schüler in den letzten zwei Unterrichtsjahren der Sekundarbildung in einem Bereich wie Landwirtschaft, Industrie, Handel, Tourismus, Kunst, Musik oder Sport spezialisieren. Das Abschlusszeugnis der Sekundarstufe befähigt zum Eintritt in die höhere Bildung.
In öffentlichen Schulen kleiner Orte kann es der Fall sein, dass Lehrkräfte schlecht ausgebildet sind. Aufgrund der schlechten Bezahlung suchen manche neben dem Lehrberuf auch andere Nebenerwerbstätigkeiten auf, was zu Motivationslosigkeit oder Unterrichtsentfall führen kann. Dies trägt unter Auswandererfamilien dazu bei, auch kostspieligere Schulen in Betracht zu ziehen.
Privatschulen in Bolivien
Auswandererfamilien in Bolivien suchen oft Privatschulen auf, um gute Ausbildungsmöglichkeiten für ihre Kinder zu gewährleisten.
Um diesen Artikel zu verfassen, habe ich um die Hilfe einer befreundeten amerikanischen Auswandererin in Santa Cruz de la Sierra gebeten. Sie ist Mutter einer bolivianischen Tochter, welche die siebte Klasse einer Privatschule in Santa Cruz besucht.
Folgende Information trifft nicht automatisch auf jede Privatschule oder Auswandererfamilie zu. Nichtsdestotrotz kann sie hilfreich sein, um einen besseren Einblick in den Schulalltag einer bolivianischen Privatschule zu erlangen.
Erfahrungen in einer Privatschule einer amerikanisch-bolivianischen Familie
Im Gespräch mit einer amerikanischen Mutter in Bolivien habe ich erfahren, dass im siebten Jahr der Schulbildung, also mit Beginn der Sekundarstufe, der Unterricht an sechs anstatt nur an fünf Tagen stattfindet. Der Unterricht wird von 7 Uhr 30 bis 12 Uhr Mittag abgehalten.
Generell sind die Regeln sehr streng, wie man zum Beispiel bei Absenzen sehen kann. Unentschuldigtes Fernbleiben vom Unterricht wird nicht toleriert und muss im Vorhinein angefragt werden. Im Krankheitsfall muss die Schule am Morgen davon in Kenntnis gesetzt werden.
Das Schuljahr ist in Trimester aufgeteilt und es finden am Ende jedes Trimesters Prüfungen statt. Der Spanischunterricht der siebten Klasse fokussiert sich hauptsächlich auf Literatur und findet zwei Mal pro Woche statt. Auch Englisch und Guaraní sind Pflichtfächer und werden einmal pro Woche unterrichtet. Weitere Fächer, die einmal pro Woche im Lehrplan vorkommen, sind Informatik, Kunst, Musik, Physik, Chemie, Psychologie und Ethik. Mathematik, Biologie und Literatur werden zweimal pro Woche unterrichtet. Die Pausen zwischen den Unterrichtseinheiten betragen jeweils 15 Minuten.
Sowie in anderen traditionellen Schulen wird Montagmorgens eine Zeremonie abgehalten, an dem die Nationalhymne gesungen und von der Schulleitung eine Botschaft an die Schulgemeinschaft übermittelt wird.
Die Schule umfasst sechs Jahre Primarstufe, sowie sechs Jahre Sekundarstufe. Didaktisch ist der Unterschied zwischen den Unterrichtsstilen der sechsten und siebten Klasse deutlich spürbar. Während die Schüler in der Grundstufe dadurch lernen sollen, Information von der Tafel abzuschreiben, sollen sie ab der siebten Klasse Wissen selbstständig aus Texten der Schulbücher exzerpieren. Dieser Prozess fördert das Lernen aktiv und die Schüler sollen langsam an diese Methode gewöhnt werden, da sie eine gute Vorbereitung auf die höhere Bildung darstellt.
Weitere Details…
Um noch auf einige interessante Details einzugehen, betont die Mutter, dass die Schüler im Musikunterricht lernen, wie man Noten liest und die Blockflöte spielt. Die Flöte muss von den Kindern selbst mitgebracht werden. Auch im Sportunterricht bringen die Schüler selbst ihren Ball zur Schule. Es fehlt auch an anderer Ausstattung, sowie der Mangel an Mikroskopen, Laboreinrichtung oder einer Bibliothek. Die Schule bietet keine Wahlfächer oder außerschulische Aktivitäten.
Ab und zu nehmen die Schüler auch an virtuellem Unterricht teil. Als unterstützende Mittel zum Unterricht nutzen die Lernenden auch die App Google Academy.
Grundsätzlich zeigte sich die Amerikanerin überzeugt vom bolivianischen Privatschulsystem, auch wenn dies an jeder Privatschule anders aussehen mag. Zu guter Letzt wollte sie anmerken, dass ihre Tochter bereits in der siebten Schulstufe Zugang zu Lernmaterial hat, besonders im Hinblick auf Psychologie und Biologie, welchen sie selbst erst in ihrem ersten Jahr ihrer Universitätsausbildung hatte.
Ihrer Meinung nach ist das bolivianische Privatschulsystem dafür gedacht, um eine fundierte Ausbildung für eine Hochschulbildung zu bieten. Schüler, die einen Universitätsabschluss anstreben, gewinnen dadurch wertvolle Kompetenzen in diesem anspruchsvollen und komplexen Unterricht.
Studium im Ausland
Wie bereits erwähnt, befähigt das Abschlusszeugnis der Sekundarstufe zum Eintritt in die höhere Bildung. Jedoch gilt das nicht automatisch für alle Hochschulen weltweit. Sollte sich ein Schüler entscheiden, nach dem Abschluss in Bolivien in einem Land wie Deutschland zu studieren, gibt es folgende Möglichkeiten.
Es gibt die Option des sogenannten Studienkollegs, das ein Zusatzdiplom darstellt und ein Jahr in Deutschland in Anspruch nimmt, nach dem man sich dann an deutschen Universitäten bewerben kann.
Alternativ dazu kann man ein Jahr an einer internationalen Universität in Bolivien absolvieren und anschließend sein Studium in Deutschland fortführen.
International Baccalaureate in Bolivien
Was außerdem an ausgewählten Schulen angeboten wird, ist das “International Baccalaureate”. Dieses Zusatzdiplom berechtigt zum Studium in Deutschland, ohne zuvor ein zusätzliches Jahr absolvieren zu müssen. Es erstreckt sich über die letzten zwei Jahre des Schulbesuchs und wird zusätzlich zu den geplanten Prüfungen absolviert. Schüler arbeiten an einer schriftlichen Forschungsarbeit und entwickeln Fähigkeiten im akademischen Bereich sowie in der Persönlichkeitsentwicklung.
Wenn du mehr über das IB erfahren möchtest, sieh dir mein Interview mit der paraguayischen Lehrerin Cay Gabel an, die sechs Jahre im International Baccalaureate unterrichtet hat:
Fazit für Auswandererfamilien in Bolivien
Das bolivianische Schulsystem ist so komplex wie das Land selbst. Es ist das Ziel der bolivianischen Regierung, jedem Kind die Möglichkeit auf Bildung zu geben, doch aufgrund der starken Armut in vielen ländlichen Teilen des Landes ist bis dahin noch Aufholbedarf.
Familien, die sich für ein Leben in einer der bolivianischen Metropolen entscheiden, erfahren eine ganz andere Realität. Das Land bietet eine kulturell vielfältige und einladende Gesellschaft, wo hervorragende Bildung gegeben ist, wenn man die entsprechenden Mittel mitbringt.
Ein Leben in Bolivien, ob für die ganze Familie oder als Schüleraustausch, ist vielfältig und wird durch seine lebendige Gesellschaft und Natur mehr Interesse und Neugierde für das Land wecken.
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